Bei den Informationen über das Pflichtteilsrecht ist nachzulesen, dass der Wert der reinen Verlassenschaft die Grundlage bildet, um den Pflichtteil zu berechnen. Wenn man aber nur das Vermögen berücksichtigt, das beim Tod des Verstorbenen vorhanden ist, könnte das gesamte Pflichtteilsrecht umgangen werden. Das Vermögen könnte durch Schenkungen zu Lebzeiten so stark vermindert werden, sodass nach dem Tod des Verstorbenen keine nennenswerten Vermögensbestandteile mehr vorhanden sind. Um einer solchen Umgehung vorzubeugen, werden Schenkungen des Verstorbenen bei der Bemessung des Pflichtteils berücksichtigt!
Nach dem Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 (ErbRÄG 2015) ist nunmehr zwischen Hinzurechnung und Anrechnung zu unterscheiden.
Schenkungen des Verstorbenen werden dem Wert der Verlassenschaft grundsätzlich hinzugerechnet. Bei einer Schenkung auf den Todesfall gelten dieselben Regeln.
Ist der Beschenkte selbst pflichtteilsberechtigt, so wird der Wert der empfangenen Schenkung auf seinen Pflichtteil angerechnet, also von diesem abgezogen.
Was versteht der Gesetzgeber jedoch unter einer Schenkung, die nach dem Tod des Verstorbenen der reinen Verlassenschaft hinzuzurechnen ist? Neben „normalen“ Schenkungen werden etwa auch die Ausstattung eines Kindes, ein Vorschuss auf den Pflichtteil, die Abfindung für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht, die Vermögenswidmung an eine Privatstiftung sowie jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Leben gleichkommt, als Schenkung gewertet.
Bei einer gemischten Schenkung – wenn also für einen Teil der Zuwendung eine Gegenleistung erfolgt und nur ein Teil der Zuwendung als Schenkung zu qualifizieren ist – unterliegt eben nur der geschenkte Teil der Hinzurechnung.
Nicht hinzugerechnet werden Schenkungen, die der Verstorbene aus Einkünften ohne Schmälerung des Stammvermögens gemacht hat. Ebenfalls nicht hinzugerechnet werden Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken. Auch Schenkungen, die in Entsprechung einer sittlichen Pflicht oder aus Gründen des Anstands gemacht wurden, sind nicht hinzuzurechnen.
Schenkungen des Verstorbenen an eine Person, die nicht zum Kreis der Pflichtberechtigten gehört, sind nur dann hinzuzurechnen, wenn sie in den letzten beiden Jahren vor dem Tod des Erblassers gemacht worden sind.
Bei der Hinzurechnung wird der Wert der geschenkten Sache der Verlassenschaft rechnerisch hinzugeschlagen. Auf Grundlage des erhöhten Werts der Verlassenschaft werden die Pflichtteile ermittelt.
Wenn der Beschenkte selbst pflichtteilsberechtigt ist, erfolgt keine Hinzurechnung sondern eben eine Anrechnung. Dabei wird der Wert der geschenkten Sache von seinem- ebenfalls auf der Grundlage des erhöhten Werts der Verlassenschaft berechneten - Pflichtteil abgezogen.
Beispiel: Der Verstorbene hinterlässt die Kinder A und B. Der Wert der reinen Verlassenschaft beträgt € 500.000,-. A hat eine Schenkung von € 100.000,- erhalten; B hat nichts bekommen. Für die Hinzurechnung ist der Wert der Schenkung dem Wert der Verlassenschaft hinzuschlagen. Auf der Grundlage des erhöhten Wertes von € 600.000,- sind die Pflichtteile zu ermitteln. A und B haben eine Pflichtteilsquote von je einem Viertel, sodass der Pflichtteil für jedes Kind € 150.000,- beträgt. A muss sich den Wert der Schenkung auf den Pflichtteil anrechnen lassen. Deshalb bekommt A als Pflichtteil € 50.000,- wobei B 150.000,- als Pflichtteil erhält.
Der durch die Hinzurechnung erhöhte Pflichtteil ist grundsätzlich aus der Verlassenschaft zu leisten und belastet somit den bzw. die Erben. Nur bei sehr großzügigen Schenkungen kann es vorkommen, dass die verbliebende Verlassenschaft nicht ausreicht, um die erhöhten Pflichtteile zu decken. In einem solchen Fall haftet der Beschenkte unter Umständen für den Fehlbetrag.
Wenn der Geschenknehmer im Zeitpunkt der Schenkung nicht zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört hat, so haftet er höchstens für Schenkungen, die der Verstorbene innerhalb der letzten zwei Jahre vor seinem Tod gemacht hat.